Georg Buchmann:Geflugelte Worte: Der Zitatenschatz Des Deutschen Volkes (1920)
- neues Buch ISBN: 9781168619549
1877. Gal. berühmt. Klinik., J. Hirschfeld. - Wien, Verlag der Buchhandlung von Moritz Perles, 1877, 32 x 24 cm; beigelegt 3 pp. Biographie. Otto Spiegelberg (1830-1881). - "Vor Allem le… Mehr…
1877. Gal. berühmt. Klinik., J. Hirschfeld. - Wien, Verlag der Buchhandlung von Moritz Perles, 1877, 32 x 24 cm; beigelegt 3 pp. Biographie. Otto Spiegelberg (1830-1881). - "Vor Allem lernt die Weiblein führen ..." Dieser mephistoselische Rath an den angehenden Mediciner im "Faust" wird nicht nur von dem dichterischen Gebilde des "Schülers" ernst genommen. Es wimmelt thatsächlich von "Frauenärzten". Die colossal gesteigerte Nachfrage wird von dem Angebote noch übertroffen. Die moderne Zeit mit ihrer, das sociale Leben in den Grossstädten concentrirenden Tendenz hat jene Species der Weiblein, über deren "tausendfältig Weh und Ach, so mannigfach" sich noch der Grossmeister der deutschen Dichtung so beissend lustig machen konnte, zu einer traurigen Staffage der gesellschaftlichen Zustände geschaffen. Das blutarme, nervöse, in seinen Sunctionen gestörte Weib bildet die Personification unserer mit Arbeit überhasteten, durch Genuss überreizten Zeit. Die Generation beginnt am Blutmangel hinzusiechen, und das spärliche Blut, das in ihren Adern rollt, ist dem Eisenbankerotte nahe. "Blut und Eisen" - nur der Arzt, respective der Frauenarzt weiss, welche weittragende Bedeutung dieses geflügelte Wort des deutschen Reichskanzlers für die Gynäcologie hat. Hier ist in der That der "eine Punkt", von dem aus nicht nur die Individuen, sondern die ganze Race der modernen Culturvölker, speciell deren weibliche Majorität "zu curiren" ist. Doch es soll ja kein Essay über Völkerverjüngung geschrieben werden, es sollte nur angedeutet werden, aus welche Weise es gekommen ist, dass es just in unseren Tagen so viele Frauenärzte gibt, und dass die Gynäcologie gerade in unserer Zeit einen so gewaltigen Aufschwung genommen hat. Wenn Eines hiebei befremden muss, so ist es die Thatsache, dass bei der grossen Zahl von Frauenärzten die namhaften Gynäcologen so ausserordentlich dünn gesäet sind. Die Scanzoni, Braun-Sernwald, Späth, Freund, Crede haben nur wenige Ebenbürtige. Unter der grossen Anzahl der Berufenen sind gerade hier nur. wenige auserwählt. Es ist nicht blos die dunkle physiologische Grundlage des weiblichen organischen Lebens, nicht blos der unabsehbare Umfang der Disciplin die Ursache davon. Schwerer noch als die technischen und wissenschaftlichen Schwierigkeiten fallen gewisse psychische Vorbedingungen in's Gewicht, ohne deren Vorhandensein kein Meister der Gynäcologie denkbar ist. Der dunkel intuitiven Natur des Weibes in der besser situirten Gesellschaft, diesem Alluvialboden für die Zucht von Frauenkrankheiten, gegenüber ist eine Art Hellsehen des Arztes die Conditio sine qua non der Verständigung, des Vertrauens sowohl von der einen, als des Verstehens von der andern Seite. Es genügt nicht, "das Pülslein wohl zu drücken", in zehn Fällen neunmal "beruhigende Pulver" zu verschreiben, fashionable Curorte, wie Ischl oder Baden-Baden, als Heilmittel zu ordiniren, und wie alle die frauenärztlichen Nothmittel sonst geartet sein mögen. Es gilt in gar häufigen Fällen mit genialem, intuitivem Blick aus den widersprechendst angegebenen, ja oft nichtssagend sich offenbarenden Symptomen ein tief sitzendes Uebel zu erkennen, und bei der Untersuchung sofort die richtige Fährte zu finden. Dazu aber muss man geboren sein. Ein solcher genialer Hellseher im dunklen labyrinthischen Gebiete der Frauenkrankheiten ist Professor Otto Spiegelberg. Seinem immensen Wissen, seiner seltenen operativen Geschicklichkeit gesellt sich auch jene intuitive Kraft der Seele, welche wir vor Allem für jenen Gynäcologen vindiciren mussen, der als Auserwählter unter den vielen Berufenen gelten soll.Prof. Spiegelberg, derzeit geheimer Ober-Medicinalrath und Director der Gebär-und Frauenklinik in Breslau, ist von Geburt ein Hannoveraner. In Peine erblickte er am 9. Jänner 1830 das Licht der Welt. Seine Studien absolvirte er in Berlin und Göttingen und wurde von der Universität der letztgenannten Stadt 1851 zum Doctor promovirt. Ein Jahr daraus legte er in Hannover das Staatsexamen ab. Damit war wohl den formellen gesetzlichen Anforderungen zum Beginne der ärztlichen Lausbahn in seinem Vaterlande Genüge gethan; aber Spiegelberg fühlte den Drang in sich, mehr zu wissen, um Höheres zu leisten. So ging er denn nach Oesterreich, wo in den fünfziger Jahren die medicinischen Studien aus der Höhe standen, und widmete sich durch ein volles Jahr in Wien und Prag dem Studium der Geburtshilfe und Gynäcologie überhaupt. Von der Natur mit einer ganz sinulären Befähigung für diese vielleicht schwierigste medicinische Disciplin ausgestattet, gelang es dem angehenden Gynäcologen, sich in kurzer Zeit ein so reiches Wissen anzueignen, dass er sich schon im Jahre 1854 als Privatdocent an der Universität zu Göttingen habilitiren konnte. Bald jedoch machte sich die Enge der dortigen Verhältnisse als Schranke für die weitere Sachausbildung fühlbar. In Folge dessen besann sich Spiegelberg nicht lange und begab sich 1855 nach England zu länger währendem, an Studien reichen Aufenthalte. Jetzt erst kehrte er, gereist nach allen Richtungen, nach Göttingen zurück, errang sich dort einen von Jahr zu Jahr wachsenden Kreis von Zuhörern und wurde im Jahre 1860 zum ausserordentlichen Professor der Gynäcologie ernannt. Aber nicht lange sollte der damals jugendliche Professor in dieser Stellung bleiben. Der Ruf des erst dreissigjährigen Gynäcologen hatte bereits einen guten Klang im deutschen Reiche, und so wurde er schon zu Ostern 1861 als ordentlicher Professor und Director der gynäcologischen Klinik nach Freiburg in Baden berufen. Zu Michaeli des Jahres 1864 finden wir den rastlos strebenden jungen Professor bereits in einer ehrenvollen Stellung an der Universität Königsberg. Doch bildete dieselbe nur den Uebergang zu jener, welche Professor Spiegelberg gegenwärtig in Breslau mit Auszeichnung bekleidet, und welche er seit October des Jahres 1865 inne hat. Professor Spiegelberg, der, Dank seiner ausgezeichneten Leistungen als praktischer Arzt, Sachschriftsteller, Kliniker und Lehrer, einen europäischen Ruf geniesst, ist in erster Linie bedeutsam hervorragend als Physiologe und Operateur. In diesen beiden Richtungen hatte er sich schon in Göttingen rühmlichst bethätigt, und eine Frucht seiner diesbezüglichen, aus experimentaler Grundlage beruhenden Forschungen in jener Zeit bildet die Fundamentalarbeit: = = "Ueber Uterusphysiologie". Ihr reihte sich eine Reihe anderer wichtiger Arbeiten an. Aus derselben Periode rührt auch die Schrift: = = " Ueber den Bau des Eierstockes im gesunden und kranken Zustande". Später cultivirte Proressor Spiegelberg neben der physiologischen Rich¬tung in Lehre und Schrift besonders gynäcologische Operationen, speciell Ovariotomien, und in der Geburtshilfe die Beobachtung, speciell das Studium des klinischen Theiles seiner Specialität. Zahlreiche, durch seine Schüler bewirkte Publicationen waren die Früchte dieser an Arbeit und Forschung reichen Periode. Im Jahre 1858 erschien das Hauptwerk Professor Spiegelberg's: = = "Das Compendium der Geburtshilfe".. Der Werth dieses Werkes wurde schnell anerkannt und dasselbe war in kurzer Zeit vergriffen, ohne dass seither eine neue Auslage veranstaltet worden wäre. Dafür aber ist ein neues, umsaffendes "Lehrbuch der Geburtshilfe" im Erscheinen begriffen, und das, was bisher davon vorliegt, berechtigt zu den weitestgehenden besten Erwartungen, und rechtfertigt die Spannung, mit welcher der Druck dieses Werkes im vorigen Jahre erwartet wurde. Für die Publicationen gynäcologischer Arbeiten hat Professor Spiegelberg das Beste durch Gründung des im Jahre 1869 zum ersten Male erschienenen "Archiv für Gynäcologie" gethan. Dieses Archiv nimmt wohl gegenwärtig den ersten Rang unter den gynäcologischen Journalen ein, Professor Spiegelberg theilt sich in die Redaction desselben mit Crede. Prof. Spiegelberg ist heute erst 46 Jahre alt. Trotzdem dürsten wenige in diesem Alter so reich an Auszeichnungen und wissenschaftlichem Ansehen gewesen sein, wie er. Er ist Mitglied zahlreicher in- und ausländischer gelehrter Gesellschaften, besitzt hohe Orden, und ist nicht nur einer der beliebtesten Professoren, sondern auch einer der gesuchtesten Consiliarärzte. Er hat den Blick des Genies und das Herz eines Philantropen. Das ist das Geheimniss seiner Erfolge, welche ihm nicht nur eine hohe zeitgenössische Stellung zuweisen, sondern ihm auch einen glänzenden Namen in der Geschichte der Medicin sichern." J. Hirschfeld, Text zur Tafel, 1877, 0, New., 6<